Revierbericht |
Golf von Biskaya - der Name verheisst selten Gutes. Doch für Franzosen ist die südliche Bretagne eine beliebte Sommerfrische. Wir besegeln die Küste und den Golf von Morbihan, zu Deutsch: das kleine Meer. |
Hinter jeder Huk ein Bojenfeld: |
Mastenwald: |
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Ein Bild wie ein Gemälde: |
Belle-Île: |
Voraus scheint das Meer zu kochen. Als rühre jemand mit
einem riesigen Löffel in der blassgrünen Suppe. Aus dem Nichts erheben
sich spitze, kurze Wellen, verdichten sich rotierend zu schäumenden
Strudeln, umtanzen in rasender Geschwindigkeit unser Schiff und scheinen
es hohnlachend fortzuführen, tief hinein in das Reich nass blinkender
Granitklippen.
Die Strömung reisst uns durch die Enge, der flaue Wind erlischt, die
Segel flappen, der GPS-Navigator zeigt dreizehn Knoten über Grund. Die
Spannung an Bord lässt alle verstummen. Wie von Neptuns Faust gepackt,
schert der Bug nach Steuerbord aus, dann wieder nach Backbord.
Schliesslich sind wir durch. Hinter uns liegen zwei wuchtige
Inselbrocken, die den Tidenstrom auf neun Knoten haben anschwellen
lassen. Erlöst gleitet das Boot ins geschützte Binnenmeer. Im frühen
Dunst scheinen zahlreiche Inseln über einer grauen Wasserfläche zu
schwimmen. Die durchbrechende Sonne zaubert tanzende Lichtreflexe. Ein
schöner Morgen im Golfe du Morbihan erwacht.
Ein kleines Stück Schweden, mit baumbestandenen Schäreninseln, stillen
Ankerbuchten und idyllischen Dörfern hat uns der Reiseführer
versprochen. Und gar so weit scheint der Vergleich nicht hergeholt zu
sein. Obwohl wir uns rund 2000 Kilometer südlich befinden, nahe der
Halbinsel Quiberon in der Südbretagne.
Die Felseninsel gleich neben uns, Île Berder, könnte
genauso gut vor Stockholm liegen.
Als wir näher kommen, erkennen wir mediterrane Zypressen, Strauchkiefern
und Stieleichen, die einzelne, aus grauem Stein gemauerte Häuser fast
vollständig verdecken. Am Ufersaum blüht Stechginster, darunter zeichnet
sich scharf und schwarz im braunen Fels der Flutsaum ab. Zwei bis vier
Meter beträgt der Tidenhub, je nach Nipp- oder Springtide.
Das Kap einer Insel bringt die Strömung wieder auf Trab. Kaum sind wir
vorbei, öffnet sich eine weiträumige Bucht, in der wohl hundert Yachten
in Reih und Glied an runden weissen Plastikbojen festgemacht haben. Wir
entdecken eine freie Muring mit der Aufschrift"Visiteur", starten den
Motor, drehen gegen den Strom und fahren langsam an die Tonne heran.
Mein Segelfreund Joachim liegt auf dem Vordeck, fängt mit dem Bootshaken
den Eisenring und fädelt die Festmacherleine hindurch.
Das Wasser gurgelt unter dem Rumpf, kleine Stromwellen klopfen gegen die
Bordwand. An der Muring liegt das Boot sicher. Darauf nehmen wir einen
Drink und werfen einen Blick in die Spezialkarte. Sie zeigt uns den
Golfe du Morbihan in seinen knappen Dimensionen, rund fünf Seemeilen in
der Nord-Süd-Ausdehnung, zehn von West nach Ost. Das ist nicht eben
viel, zumal sich über fünfzig grössere und kleinere Inseln auf
dem"Morbihan", dem kleinen Meer, zusammendrängen. Fünfzehn sind bewohnt,
zwei befinden sich in Privatbesitz. In diesem Irrgarten muss man sich
zurechtfinden, nach Tonnen, Baken und Leuchttürmen navigieren und auf
der Karte die Landmarken abhaken. Wie in den schwedischen Schären.
Zwei Inseln stechen hervor: die Île aux Moines und die Île
d'Arz. Knapp sechs Kilometer ist die Île aux Moines lang. Das hügelige
Land duftet nach Seegras, Farn, Pinie und Mimose. Die Bewohner des
Inseldorfs Kergonan leben vom Fremdenverkehr, ein bisschen auch noch von
der Austernzucht, genau wie auf der Nachbarinsel Ile d'Arz, die nur drei
Kilometer misst. Zwei grössere Ortschaften mit jahrhundertealter
Geschichte liegen am Golf: Vannes und Auray. Beide wollen wir besuchen,
zunächst Vannes.
Nach einer ruhigen Nacht an der Muringtonne setzen wir wieder die Segel.
Es ist ein warmer Tag. Gewitterwolken ziehen auf, lassen die Inseln noch
dunkler, die Fjorde noch geheimnisvoller erscheinen. Je mehr wir uns
Vannes nähern, desto enger wird das Fahrwasser. Ausflugsdampfer, Fähren
und Arbeitsboote kommen uns entgegen. Dazwischen wirken zwei rotbraune
Segel über einem teerschwarzen Rumpf wie Fremdkörper. Und doch gehört
dieser traditionelle Segler zum Golf wie kein anderes Fahrzeug: Wir
begegnen einer der letzten Sinagots, die hier früher Schifffahrt und
Fischerei bestimmten.
Zwei mächtige Luggersegel, an unverstagten Holzmasten gesetzt, waren
gross genug, um das schwere Schleppnetz über die natürlichen Austernbänke
zu ziehen. Der tiefgehende, V-förmige Rumpf mit dem charakteristischen
Spitzgatt, an dem ein stark schräg gestelltes, mächtiges Ruder für die
notwendige Lateralfläche sorgt, wurde mit Ballaststeinen stabilisiert.
Manche Fischer waren so arm, dass sie mit ihren Familien an Bord lebten.
Heute schippern auf den wenigen erhaltenen und aufwändig restaurierten
Sinagots vor allem Touristen und Jugendgruppen.
Vor Vannes hindert uns eine Klappbrücke an der Weiterfahrt
in den ausgebaggerten Kanal, der den Golf mit dem Yachthafen mitten in
der Altstadt verbindet. Doch schon saust in einem Schlauchboot der
Hafenmeister heran, ruft uns die Liegeplatznummer zu und wann die Brücke
öffnen wird. Welch ein Service! Bald motoren wir durch den Kanal,
passieren das Fluttor, das bei niedrigem Wasserstand geschlossen wird,
und fädeln an unserem Steg in eine schier endlose Reihe von Yachten ein.
Die mittelalterlichen Fachwerkhäuser aus dem 14. und 15. Jahrhundert
liegen sozusagen vor dem Bug. Weil die abgelegene Provinzstadt keine
strategische Bedeutung hatte, blieben ihre engen Gassen, das Schloss
Gaillard, die mächtige Kathedrale Saint-Pierre sowie die historischen
Befestigungsanlagen vom Zweiten Weltkrieg verschont. Heute erfreut sich
Vannes eines regen Fremdenverkehrs, ähnlich wie das Städtchen Auray, im
Nordwesten des Golfs gelegen, das wir tags darauf besuchen.
Dorthin gelangen wir über die wohl schönste Flussmündung Frankreichs.
Der sechs Seemeilen lange Rivière d'Auray ist Balsam für Auge und Seele.
Nachdem wir das Wattgebiet des Golfs mit seinen zahlreichen
Austernzuchten verlassen haben, passieren wir bewaldete Felshänge dicht
am Fahrwasser. Einzelne Fischerhäuser stehen auf Vorsprüngen, vor denen
bunte Kutter im Schlick liegen. Ein Fischadler streift über die Wipfel,
Reiher stehen im Schilf, und zahlreiche Wasservögel stochern emsig am
Flutsaum nach Nahrung. Auch vor Auray stoppt eine Brücke unsere
Weiterfahrt. Hier machen wir in einer langen Muringreihe mitten im Strom
an einer Vor- und Achtertonne fest und motoren mit dem Schlauchboot in
den 500 Meter entfernten historischen Stadthafen. Die Häuser im Zentrum
sind eine Pracht. Wer sie ansieht, versteht, warum Auray zu den neun
bretonischen Orten zählt, die den Titel"Stadt der Kunst und der
Geschichte" führen.
Nach Auray ist uns das"kleine Meer" zu eng geworden. Vor der Tür lockt
der Atlantik mit seinen Häfen und Inseln. Am Ausgang des Golfs, im
modernen Gross-Yachthafen von Le Crouesty, wo auch unsere Charterbasis
liegt, nehmen wir noch einmal Wasser, Diesel und Proviant. Dann
entrollen wir die Genua im frischen Atlantikwind und setzen das
durchgelattete Grosssegel. Zunächst frei von Untiefen, Stromschnellen und
Felsen geht's hinaus auf die weiträumige Bucht von Quiberon.
Wärmend sticht die Sonne durch den Dunst, der die Sicht
auf die vorgelagerten Inseln Houat und Hoëdic verwehrt. Irgendwo
dahinter liegt die grösste Insel der Bretagne, die Belle-Île. Das
GPS-Gerät bestätigt unseren Koppelkurs, sodass wir bald sicher die
Ansteuerung der nicht ungefährlichen Passage de la Teignouse zwischen
der Halbinsel Quiberon und der Île de Houat erreichen. Hier erkennen wir
die dunkle Kliffküste der Belle-Île.
Mit der besseren Sicht auf die Kimm registrieren wir plötzlich den Atem
des Ozeans. Langsam, in stetem Rhythmus, hebt und senkt sich das Schiff.
Vom Atlantik läuft eine lange Dünung in die Bucht. In Frankreich nennt
man diese grossen Wellen, die von weit her kommen, Hules, und ihre Höhe
wird bei den Wetterprognosen in Metern angegeben.
Gegen Mittag runden wir die Nordwestspitze der Belle-Île. Schwarze,
zackige Felsen drohen. Ein Leuchtturm hoch oben auf einer einsamen
Klippe. Wolkenfetzen zaubern helle und dunkle Flecken auf das grüne
Oberland. Wie mag es hier bei Sturm aussehen?
Die kleinen Fjorde zwischen den bis zu 80 Meter hohen Felsen entpuppen
sich als Fallen. Laut Handbuch soll man sich hier für die Nacht
verkriechen können. Doch als wir in einen Fjord einlaufen, branden vor
uns die abrupt gebremsten Hules auf. Mit grösserem Abstand zum Ufer
hatten wir die Atlantikdünung schon fast vergessen.
Am Abend ist die Inselumsegelung geschafft, und wir laufen
in den Hafen Le Palais ein. Schon von weitem sichten wir die massige,
pyramidenartige Zitadelle, die den Hafen beherrscht. Eine mächtige
Festung, ein Werk Vaubans, das man lange für unbezwingbar hielt, bis es
1761 von den Engländern eingenommen wurde. Zwei Jahre später, nach dem
Frieden von Paris, wurde Belle-Île gegen die Balearen-Insel Menorca
getauscht.
Auch hier fegt der Hafenmeister mit einem Schlauchboot heran, dirigiert
die Yacht mit dem Bug an eine Muringtonne und fährt anschliessend die
Heckleine zur Eisentreppe an der Hafenmauer aus, die angsterregend hoch
ist. Von nun an sind wir auf unser Beiboot als Fähre angewiesen. Le
Palais entpuppt sich als filmreifer bretonischer Fischerhafen. Mit der
Ebbe fallen bunt gestrichene Kutter trocken, deren Skipper eben noch den
frischen Fang auf die enge Kaigasse gehievt haben, wo er jetzt
feilgeboten wird.
Einheimische und viele Touristen bevölkern den Marktplatz, sitzen in
Strassencafés und bummeln durch die engen Gassen, vorbei an alten
Fassaden und der kleinen Kirche, deren Glockentöne hell über der Stadt
schwingen. Claude Monet malte hier 36 seiner schönsten Bilder und
bereitete damit den Weg für unzählige Künstler, die nach ihm, ebenfalls
von Licht und Farben der Landschaft fasziniert, auf die Belle-Île kamen,
auf die"schöne Insel". Übrigens: Schon die ersten griechischen Seefahrer
nannten die Insel Kalonessos - von kallos (schön) und nessos (Insel).
Mit unserem Liegeplatz sind wir weniger zufrieden. Starker Schwell läuft
in das Becken, mitverursacht durch die in kurzen Abständen verkehrenden
Schnellfähren. Wir überlegen, für einen weiteren Hafentag durch das
Fluttor in das innere, sehr ruhige Becken einzulaufen, entschliessen uns
dann aber, der Halbinsel von Quiberon einen Besuch abzustatten, bevor es
zurück zur Basis nach Le Crouesty geht.
Die Geschichte dieses Landzipfels ist eng verbunden mit
der rätselhaften Megalithkultur. Zwischen 5000 und 1800 vor Christus
siedelten hier Ackerbauern und Viehzüchter, die eine Vielzahl von
Steinsetzungen hinterliessen. Endlose Reihen tonnenschwerer Menhire
(Langsteine), die aufgerichtet in der Landschaft stehen, sind stumme
Zeugen einer versunkenen Epoche. Riesige Steintische, Dolmen genannt,
dienten als Grabmale, und Cairns - mit Steinplatten abgedeckte
Hügelgräber - waren Begräbnisstätten und Kultplätze zugleich.
Das wollen wir uns genauer ansehen. Von La Trinité auf dem Festland, dem
nächsten Zielhafen, bringt uns ein Taxi zum nahen Carnac. Hier befinden
sich die grössten Ansammlungen von Megalithen in der Bretagne. Nachdem
wir mit dem Auto durch einen Kiefernwald gefahren sind, fällt der Blick
auf eine hügelige Lichtung: Eng beieinander stehen 555 Menhire, zum Meer
hin immer höher und mächtiger werdend, in dreizehn Reihen ausgerichtet
wie Säulenalleen. Das Megalithfeld misst 139 Meter in der Breite und 880
Meter in der Länge. Einen Kilometer weiter stehen 1029 Menhire in zehn
Reihen zu je 1100 Meter, darunter der"Riese von Carnac" mit einer Höhe
von 6,42 Metern. Nicht weit davon die Alignements von Menec: 1099
Menhire in elf Reihen von 100 Meter Breite und 1200 Meter Länge.
Von La Trinité, dem berühmten Ausgangshafen vieler grosser Regatten -
Heimat des französischen Segelheros Éric Tabarly -, ist es nur ein
kleiner Sprung bis zur Insel Houat, wo gegen Mittag im seichten Vorhafen
der Anker fällt.
Nach einem typisch bretonischen Imbiss mit frischen Krabben, Baguette
und Knochlauchsosse vom Fischmarkt in La Trinité, dazu ein Glas kühler
Loirewein, segeln wir zurück nach Le Crouesty. Zu schnell ging der Törn
zu Ende, noch so viel bleibt zu entdecken in dieser herb-schönen
Küstenlandschaft, die im Rhythmus der Tiden nicht nur den Seemann
fasziniert.
Original in Yacht-online (Copyright © 2001 YACHT online - Delius Klasing Verlag):
http://www.yacht.de/yo/yo_revierberichte/powerslave,id,14,nodeid,21.html
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